AERODYNAMIK - DER GRößTE FEIND DES ELEKTROAUTOS IST DER LUFTWIDERSTAND

Bei Elektroautos ist eine gute Aerodynamik wichtiger denn je, denn es geht bei der Effizienz um jeden Kilometer. Ein schlechter cW-Wert bedeutet hohen Verbrauch. Wie Designer und Entwickler gegen den Wind kämpfen.

Mercedes setzte mit seiner Zukunftsstudie des EQXX im vergangenen Jahr ein mächtiges Ausrufezeichen. Die Elektroflunder brachte erfolgreich gleich mehrere Rekordfahrten hinter sich. Dafür sorgte nicht nur das 100-kWh-Akkupaket der kommenden Generation, spindeldürre Ökoreifen für minimalen Widerstand und ein 180 kW / 245 PS starker Elektromotor an der Hinterachse, sondern insbesondere seine ausgefeilte Aerodynamik.

Aerodynamik macht beim E-Auto den großen Unterschied

Mit einem cW-Wert von 0,17 schlüpfte der elektrische Viersitzer aus Sindelfingen kaum gebremst unter dem Fahrtwind geradezu durch, was mit einer Akkuladung reale Reichweiten von mehr als 1.000 Kilometer ermöglichte. „Das Technologieprogramm, das hinter dem Vision EQXX steht, wird zukünftige Modelle und Fahrzeugfunktionen von Mercedes-Benz neu definieren und ermöglichen“, erläutert Mercedes-Entwicklungsvorstand Markus Schäfer. Anfang 2025 soll die neue Kompaktklasse der Schwaben kommen – mit einem Nachfolger des aktuellen CLA, der auch in Sachen Luftwiderstand Bestwerte setzen will.

Tausende Stunden im Windkanal

Mit dem Luxusmodell des EQS ist das Mercedes bereits gelungen. Zugegeben ist die Linienführung dabei gerade im Vergleich zum imageträchtigen Verbrenner-Bruder der S-Klasse gewöhnungsbedürftig, denn von der Motorhaube bis zum kurzen Heck zieht sich die Silhouette in einer durchgehenden Bogenform über das Luxusmodell mit Stecker. Doch die exzellente Aerodynamik stand ganz oben im Lastenheft der Ingenieure. Ehe der EQS als Serienmodell auf die Straße kam, verbrachten die Mercedes-Tester zahllose Stunden im Windkanal und wiederholten ihre Messungen mehrere tausend Male an virtuellen Computermodellen. Die erste S-Klasse war eine Schrankwand - Der 7000-PS-Windkanal: Mercedes im Sturm

So wurden Luftströme umgeleitet, Fugen minimiert und der Unterboden feinjustiert. Unter dem Strich machte sich das eindrucksvoll bemerkbar, denn die betont rundliche Stirnfläche beträgt gerade einmal 2,51 Quadratmeter. Auch deshalb bietet der 5,22 Meter lange EQS einen spektakulären cW-Wert. „Der EQS ist das aerodynamischste Serienfahrzeug der Welt mit einem Luftwiderstandsbeiwert von nur 0,20. Das trägt zu seiner elektrischen Reichweite von bis zu 770 Kilometern nach WLTP bei“, betont Markus Schäfer.

Aerodynamik-Wunder: Vom Audi 100 zum Hyundai Ioniq 6

Damit liegt der Mercedes EQS beinahe auf dem Niveau des einstigen Kleinserienmodells VW XL-1. Die Ökoflunder mit Plug-in-Hybridantrieb stemmte sich vor rund einem Jahrzehnt dem Fahrtwind mit seinem Widerstandswert von weniger als 0,19 kaum spürbar entgegen, was unter Strich einen Verbrauch von unter einem Liter Diesel auf 100 Kilometern bedeutete. Eine andere Marke des Volkswagen Konzerns hatte bereits Anfang der 1980er mit einem Serienfahrzeug Aerodynamikgeschichte geschrieben: der Audi 100 vom Typ 44 bot Dank seiner flächigen Front und den stark geneigten Scheiben einen cW-Wert von 0,30 – seinerzeit ein Weltrekord für ein Standardmodell, das als Oberklasselimousine jeder kaufen konnte.

Für Audi war der unter Ferdinand Piech betont technisch positionierte Typ 44 (interne Bezeichnung C3) der Schritt ins Premiumsegment, denn der 100er bot nicht nur einen Aerodynamikbestwert, sondern unter anderem auch eine verzinkte Karosserie, Allradantrieb und modernste TDI-Dieseltechnik.

Erinnerungen ans Design der 1920er Jahre

Nachdem es in den 1990er und frühen 2000er Jahren Dank ebenso effizienter wie leistungsstarker Triebwerke um die Aerodynamik deutlich ruhiger geworden war, änderte sich dies mit dem derzeitigen Wechsel zur Elektromobilität schlagartig. Das zeigt nicht nur ein Luxusmodell wie der Mercedes EQS, sondern jüngst auch das Mittelklassemodell des Hyundai Ioniq 6. Trotz seiner gerade einmal 77 kWh großen Batterie lockt der Koreaner seine potenziellen Kunden mit einer Maximalreichweite von über 600 Kilometern – Dank eines cW-Wertes von 0,21. Die Maßgabe „form follows fuction“ beweist dabei nicht allein die Hightech-Frontschürze, die mit ihren Splittern und Flaps an einen Rennwagen erinnert. Für Designchef Simon Loasby ist das aerodynamische Konzept des Ioniq 6 eine Hommage an legendäre Fahrzeuge aus den 1920ern und den 1930ern wie dem Stout Scarab, dem Phantom Corsair oder dem Saab 92, als Flugzeugingenieure ihr Können auf die Straße brachten.

Glatte Fugen beim Audi E-tron GT

„Bei einem Elektroauto ist die Aerodynamik wichtiger als alles andere“, bestätigt Hyundai-Techniker Dr. Sang-hyun Park. Also reduziert der Hyundai Ioniq 6 den Luftwiderstand mit speziellen Felgen, einer strömungsgünstigen Führung der Luft durch die Radkästen (Air Curtains) kombiniert mit Blenden an den Radläufen, die die Lücke zwischen Reifen und Karosserie verringern. Klickdown Audi E-tron GT - Tempolimit? Bitte nicht! Soviel Spaß hat man mit Audis Elektro-Renner

Längst spielen beim Thema Aerodynamik nicht allein die Karosserie, Verkleidungen am Unterboden oder aufwendige Luftführungen eine Rolle. Selbst die Reifenhersteller tüfteln an Pneus, sodass Profil und seitliche Schriftzüge möglichst wenig Grund für Luftwiderstand bieten. „Am wichtigsten ist aber der große Spoiler am Heck“, erklärt Hyundai-Designer Simon Loasby zu seinem Ioniq 6. Er gesteht freimütig ein, dass er den Bürzel gerne versenkbar gehabt hätte, aber die Kosten seien zu hoch gewesen. So haben die Formgeber aus der Not eine Tugend gemacht und den Spoiler in eine ansehnliche Lichtsignatur integriert, die vor allem bei Dunkelheit das Heck zur Sahne-Seite des Korea-BEVs macht. Interessanterweise bringen die optionalen Seitenspiegel-Kameras gegenüber den konventionellen Spiegeln nur einen Gewinn von drei Kilometern.

Auch der Audi Etron GT lebt als sportliches Elektroauto nicht allein von Leistung, Fahrwerk und Design, sondern nicht zuletzt von einer guten Aerodynamik, die sich nicht nur in geringen Windgeräuschen, sondern auch einen cW-Wert von 0,24 niederschlägt. Unter anderem sorgen die speziellen Lufteinlässe im unteren Bereich der Front, steuerbare Kühllufteinlässe, der Heckspoiler sowie der glattflächige Unterboden dafür, dass die Strömung eng am Fahrzeug anliegt und sich diese wieder sauber am Heck ablöst. Denn das Thema Aerodynamik ist nicht allein für die maximale Reichweite wichtiger denn je. Weil Motorgeräusche fehlen, macht sich der Fahrtwind stärker als bei einem Verbrenner bemerkbar. Einer der Gründe, wieso viele Elektroautos auch an den bündigen Seitenscheiben mit Dämmglas ausgestattet sind.

Von Stefan Grundhoff

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