Es mag eine besondere Befriedigung für den ehemaligen Renault-Chef Luca De Meo darstellen, dass sein vor fast zwei Jahren propagierter Vorschlag für eine besondere Klasse von Kleinstwagen mit vereinfachten Regeln nun von der EU-Kommission aufgegriffen worden ist. Wie sich nun herausstellt, hatte De Meo offenbar gleichzeitig zu seiner Forderung auch schon die Entwicklung eines Prototyps für einen Kleinstwagen in Auftrag gegeben. Der wurde gerade von der Renault-Tochterfirma Dacia unter dem Namen Hipster präsentiert.
Zuletzt hatte sich auch der aus Paris gelenkte Stellantis-Konzern – mit Marken wie Citroën, Peugeot, Opel und Fiat – in diese Richtung engagiert. Auch Opel-Chef Florian Huettl ließ daher ein Lob der EU-Kommissionspräsidentin zu Plänen für erschwingliche Autos verbreiten. „Kleine und erschwingliche Autos mit Preisen von unter 15.000 Euro sind nahezu vom Markt verschwunden, was zu einem drastischen Produktionsrückgang geführt hat“, kommentiert Huettl und bekräftigt damit auch Positionen von Stellantis-Präsident John Elkann.
Noch 2019 seien in der EU rund eine Million Autos mit Einstiegspreisen von weniger als 15.000 Euro gebaut worden. In diesem Segment habe es 49 Modelle gegeben, dagegen gebe es 2025 nur noch ein Modell mit einer Jahresproduktion von 100.000 Stück. Für den deutschen Automarkt gibt es klare Hinweise in den Daten des Kraftfahrtbundesamtes: Das führte im September 2015 noch sieben Modelle in der Kategorie „Minis“, mit einem Anteil am Gesamtmarkt von 2,8 Prozent. Zehn Jahre vorher hatte es in diesem Marktsegment noch 22 Modelle gegeben, mit 7,6 Prozent Marktanteil.
Luca De Meo argumentierte 2024 bei Renault und zugleich als Präsident des europäischen Autoindustrieverbandes Acea: „Täglich mit einem 2,5 Tonnen schweren Elektrofahrzeug zu fahren, ist ökologischer Nonsens.“ Damit war gemeint, dass durch die schweren Batterien die Autos zwischen 400 und 600 Kilogramm schwerer werden als bisher. Daher empfahl er den Europäern, sie sollten sich um kleine und leichte Autos bemühen.
Europa solle sich an der japanischen Kategorie der Kleinstautos, der sogenannten „Kei Cars“, orientieren. Stellantis-Präsident John Elkann hat in diesem Jahr die Forderung des ehemaligen Renault-Chefs aufgenommen: Wenn in Japan die Kei Cars einen Marktanteil von 40 Prozent hätten, gebe es keinen Grund dafür, dass Europa nicht einen solchen Typ von Autos haben solle, sagte Elkann im Frühjahr auf einem Kongress von „Automotive News“.
Tatsächlich sind die Kei Cars in Japan – der Name kommt vom japanischen Begriff „Kei Jidosha“ oder „leichtes Fahrzeug“ – zur Erfolgsgeschichte geworden: Im Geschäftsjahr 2024/25 (mit Stichtag 31. März) wurden in Japan 4,57 Millionen Autos produziert, davon waren 1,63 Millionen oder 35 Prozent Kei Cars. Für diese Kategorie von Autos gelten besondere Regeln: Sie dürfen höchstens 3,40 Meter lang und 1,48 Meter breit sein. Der Motor darf höchstens einen Hubraum von 660 Kubikzentimetern haben, und die maximale Zuladung beträgt 350 Kilogramm.
Die Attraktion der Kei Cars bestand lange Zeit darin, dass dafür für die Zulassung kein Nachweis eines Parkplatzes notwendig war, wie er in Tokio und Osaka für die Zulassung aller anderen Autos verlangt wurde. Dieser Vorteil ist inzwischen gestrichen, es gibt nur noch einen kleinen verfahrenstechnischen Vorsprung: Für normale Autos ist der Parkplatznachweis vor der Zulassung vorzulegen, bei Kei Cars darf er nachgereicht werden.
Zudem hatten die Kleinstautos bisher auch einen spürbaren Steuervorteil. Die Kfz-Steuer und die nach Gewicht berechnete Steuer für Kei Cars sind deutlich niedriger, und nur noch bis 2026 sind sie auch von einer Umweltsteuer ausgenommen. Mit einem Zulassungsanteil von mehr als einem Drittel auf dem japanischen Markt erschienen die Vorteile der Kei Cars irgendwann so groß, dass in der Politik auf den Abbau vermeintlicher Privilegien gedrängt wurde.
Geblieben sind die Vorteile des Formats: Mit Kleinstwagen ist es leichter, im Verkehrsgewühl und in engsten Gassen japanischer Metropolen voranzukommen. Die Vorstellung, dass ein möglichst großes Auto möglichst großen Status bringe, ist in Japan weniger verbreitet als etwa in Deutschland.
Yamashita Kazuyuki, Geschäftsführer von Suzuki Deutschland, sagt: „Unser Prinzip bei diesen Wagen lautet, dass wir auf alles nicht zwingend Notwendige verzichten und alle anderen Teile kompakter entwickeln, ohne auf die Ästhetik zu verzichten.“ Günstiger als Kompaktautos seien die Kei Cars nicht. „Bei den Sicherheitsanforderungen sehen die staatlichen Vorschriften keine Zugeständnisse vor. Wir setzen bei Kei Cars auf leichteren und härteren Stahl, um sie erfüllen zu können“, sagt Kazuyuki.
Suzuki hat im jüngsten Geschäftsjahr in Japan 718.000 Autos hergestellt, von denen 585.000 oder 81 Prozent Kei Cars waren. Suzuki, mit einer internationalen Gesamtproduktion von rund drei Millionen Autos, ist dabei der größte Hersteller von Kei Cars und produziert auch für Mazda sowie Lieferwagen auf Kei-Car-Basis für Mitsubishi und Nissan.
Gerne würde man solche Autos auch ins Ausland liefern, doch die Möglichkeiten sind begrenzt: Die Autos für den japanischen Markt sind als Rechtslenker konstruiert, wegen der vom Format bedingten Enge der Konstruktionsteile ließen sich die Autos aber nicht so leicht auf Linkslenker umbauen wie gewöhnliche Autos.
Selbst auf den Automärkten mit Linksverkehr gibt es Hürden. In Indien haben Autos im Kleinstformat wenig Erfolgsaussichten, daran war schon der lokale Tata-Konzern gescheitert. Die Kastenform, in die sich die japanischen Kei Cars entwickelt haben, ist auch nicht überall beliebt. In Zypern hat Suzuki einen Anlauf unternommen, immerhin gibt es in Pakistan eine lokale Fertigung.
Für den deutschen und europäischen Markt bekennt sich Suzuki zu seiner Spezialität als Anbieter von Kleinwagen und will auch weiter in diesem Marktsegment mit immer dünnerem Angebot präsent bleiben. Dafür wurde zuletzt eine neue Auflage des Kleinwagens Suzuki Swift vorgestellt. Dagegen haben andere Anbieter inzwischen nach dem Segment der Kleinstautos auch das der Kleinwagen aufgegeben. Sie verweisen auf eine weitere Verschärfung der Abgasvorschriften, selbst mit einer Abmilderung des früher geplanten Euro-7-Standards.
Zudem verlangen die EU-Vorschriften ausnahmslos von allen Autos einen automatischen Notruf mit Standortbestimmung, einen Spurhalteassistenten sowie eine Erfassung der Geschwindigkeitslimits mit Warnung vor Überschreitungen, zudem eine Müdigkeitserkennung und eine Überwachung des Luftdrucks in den Reifen. Diese Zutaten, in der Branche mit Kosten von bis zu 2000 Euro veranschlagt, machen bei Kleinstwagen und Kleinwagen einen Kostenanteil von manchmal mehr als zehn Prozent aus.
Mancher Hersteller hat sich für die Anpassung an diese Vorschriften die zusätzlichen Entwicklungskosten gespart, weil die Gewinnmargen für kleine Autos ohnehin gering sind. Auch Opel hat die Kleinst- und Kleinwagenmodelle namens Karl, Agila und Adam gestrichen. „Zu viele Vorschriften belasten den Kleinwagenmarkt“, folgerte Opel-Chef Huettl vor Kurzem im Gespräch mit der F.A.Z.
Allerdings eröffnen sich nun unterschiedliche Perspektiven für die Definition einer neuen kleinen Autokategorie: Sollte es einfach ein Kleinstwagen traditioneller Bauart sein, der – wegen des überwiegenden Betriebs im Stadtverkehr – etwa auf Müdigkeitserkennung und Spurhalteassistent verzichten darf? Oder verhandeln die Fachleute der EU-Kommission mit der Autobranche über ein ganz neues Format ähnlich dem der japanischen Kei Cars, mit begrenzten Abmessungen und einer Gewichtsgrenze?
Für so ein ganz eigenständiges Autokonzept wurde offenbar der Dacia Hipster entwickelt, drei Meter lang, 1,55 Meter breit und 1,53 Meter hoch, mit vier Sitzen oder zwei Sitzen und 500 Liter Gepäckraum, einem Gewicht um die 800 Kilogramm und einem Preis, der nach Aussage von Dacia „sehr erschwinglich“ sei. Das zweite Konzept, mit Grenzen für Ausmaße und Gewicht wie bei den japanischen Kei Cars, käme den Interessen der französischen Autohersteller besonders entgegen: Die deutsche Konkurrenz wäre an einem solchen speziellen und billigen Marktsegment nicht besonders interessiert und wäre dort dann auch keine besondere Konkurrenz. Zugleich würde eine eigenständige europäische Definition des Segments, etwa über die Abmessungen, ein Reservat darstellen, in das chinesische Hersteller mit ihren Massenprodukten nicht so leicht eindringen könnten.
Dennoch gibt es neben dem Prototyp Hipster von Dacia nun noch andere Designexperimente, etwa für einen Zweisitzer von Toyota. Auch über eine Neuauflage des zweisitzigen Smart für Europa, dieses Mal aus dem deutsch-chinesischen Gemeinschaftsunternehmen von Mercedes und Geely, wird wieder gesprochen. Die Kleinwagenspezialisten von Suzuki hoffen, dass ihr liebstes Marktsegment in Europa wieder wachsen wird.
„Wir haben in unserem Händlernetz nach dem Bedarf an Kei Cars in Deutschland gefragt und waren überrascht über die positive Resonanz“, sagt Daniel Schnell, stellvertretender Geschäftsführer von Suzuki Deutschland. „Bei diesem Fahrzeugtyp kommt es beispielsweise nicht auf die Höchstgeschwindigkeit an, es geht dagegen um die Gebrauchsmöglichkeiten im Alltag und in der Freizeit. In diesem Sinne bin ich sicher, dass die Nachfrage nach bezahlbaren und zweckmäßigen Klein- und Kompaktfahrzeugen in der Zukunft wächst.“
2025-11-02T11:32:24Z