BUGATTI BOLIDE LEICHTBAU-RENNWAGEN (2024) : LE-MANS-RUNDE IM FINALEN DESIGN

Jetzt wird's ernst: Bugatti startet die reale Testphase, die den Bolide auf viele unterschiedliche Rennstrecken führen wird. Im Rahmen des 24-Stunden-Rennens in Le Mans zeigte er sich erstmals vor Publikum.

Es gibt kaum schnellere Autos auf der Welt als jene von Bugatti. Schon der Veyron brach dahingehend Rekorde, und eine Sonderversion des Chiron war das erste Serienauto überhaupt, das die Marke von 300 Meilen pro Stunde (482,8 km/h) brach. Dennoch entwickelt Bugatti nun sein Rennstrecken-Know-how weiter. Zum einen mit dem auf Abtrieb optimierten Chiron Pur Sport (lesen Sie hier den Fahrbericht). Zum anderen mit dem Bolide, mit dem die Marke zeigt, wozu ein konsequent auf Leichtbau getrimmter Rennwagen imstande ist.

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"Zum ersten Mal zeigen wir, was der W16-Antrieb wirklich kann", sagte Bugatti-Chef Stephan Winkelmann bei der Vorstellung der Konzeptstudie im Jahr 2020. Der Bolide verkörpere die absolute Spitze des Verbrennungsmotors im Automobilbau. "Wir haben das Fahrzeug von jeglichem Ballast befreit, den Motor mit dem leichtestmöglichen Chassis illustriert und kombiniert, um den ultimativen Bugatti für das ultimative Fahrerlebnis zu schaffen." Das Auto sei "reduziert, roh und authentisch", ergänzte Design-Chef Achim Anscheidt. Und es geht in Serie!

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Serienauto mit 1.600 PS und 1.600 Nm

Weil der Bolide ein echter Bugatti ist, ist der Motor das Herzstück. Als Basis diente Ingenieur Frank Götzke der Antrieb des Chiron, der für die Konzeptstudie von 1.500 auf 1.850 PS (bei 7.000/min.) sowie von 1.600 auf 1.850 Newtonmeter (zwischen 2.000 und 7.025 Umdrehungen) erstarkte. Allerdings gelten die Werte für den Betrieb mit 110-oktanigem Rennbenzin. Wenn der Bolide 2024 zu den Kundinnen und Kunden kommt, wird der W16 auf den Betrieb mit Super Plus (98 Oktan) ausgelegt sein. Das lässt die Power schrumpfen: Bugatti kündigt das Serienauto mit 1.600 PS und maximal 1.600 Newtonmetern an; das höchstmögliche Drehmoment soll ab 2.250/min verfügbar sein.

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Der Leistungs- und Drehmoment-Sprung gelingt übrigens nicht, wie zuvor oft spekuliert, per Elektrifizierung, sondern mit klassischem Verbrennungsmotor-Tuning. Die Ansaug- und Abgasanlage zeigen sich nun durchlässiger und die vier Turbolader bauen dank optimierter Schaufeln mehr Ladedruck sowie Leistung auf. Obwohl der W16-Motor mit acht Litern Hubraum nun drehfreudiger agieren soll, spricht Bugatti ihm sowie dem angedockten Siebengang-Doppelkupplungs-Getriebe ein geringeres Gewicht zu.

Kaum ein Teil bleibt unangetastet

Doch auch in der Peripherie haben Götzke und seine Truppe nichts unberührt gelassen. Vor allem galt es, Schmierung und Kühlung für extreme Rennstrecken-Aufgaben zu rüsten. Um auch bei hohen Fliehkräften eine optimale Schmierung zu erreichen, präsentieren sich Ölkreislauf, Öldruck, Rückschlagventile, Schwallbleche, Öltanks, Ölreservoire und Pumpenauslegung der Trockensumpfschmierung verbessert. Statt einer Wasser-Luft- kommt eine Luft-Luft-Ladeluftkühlung mit Wasservorkühlung zum Einsatz. Auch der Temperaturhaushalt aller Öle sowie der Rennsport-Bremsanlage soll effektiver geregelt werden als bei den bekannten Chiron-Modellen.

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Für die Serienversion des Bolide gibt Bugatti noch keine Fahrwerte an. So absurd wie jene, die seinerzeit für die Studie genannt wurden, dürften sie aber nicht ausfallen. Die Franzosen sprachen damals von einem Topspeed von "deutlich über 500 km/h". Mindestens ebenso verrückt lesen sich die simulierten Beschleunigungswerte: Null auf 100 km/h in 2,17 Sekunden. Null auf 200 km/h in 4,36 Sekunden. Null auf 500 km/h in 20,16 Sekunden, wobei der Bugatti Bolide bei einer Vollbremsung nach weiteren 13,5 Sekunden wieder zum Stillstand gekommen sein soll. Natürlich verfügt er über permanenten Allradantrieb, wobei das Differenzial an der Vorderachse mit Längs- und jenes an der Hinterachse mit Quersperre arbeitet.

Viel Carbon, Titan und Magnesium

Soviel zum Leistungs-Aspekt, der einen Seite der Leistungsgewichts-Medaille. Die andere Seite ist die Leermasse, die Bugatti im Vergleich zum normalen Chiron von 1.995 auf 1.450 Kilogramm reduzieren will, was zu einem Leistungsgewicht von 0,9 kg/PS führen würde. Auch hier kehrt ein Stück weit Realismus ein: Für die Konzeptstudie waren noch ein Trockengewicht von 1.240 Kilogramm und ein Leistungsgewicht von 0,67 kg/PS angekündigt. Hauptverantwortlich für die noch immer beachtliche Diät ist das Carbon-Monocoque des Bugatti Bolide. Der Vorderwagen ist ebenfalls aus hochfesten Carbonfasern gefertigt, während der Heckrahmen aus geschweißtem Stahl besteht.

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Es sind zudem die Kleinigkeiten, die zum Gewichtsverlust führen. So sind alle Schraub- und Verbindungselemente des Bugatti Bolide vollständig in Titan ausgeführt. Zudem kommen an vielen Stellen hohle, dünnwandige Funktionsbauteile aus einer in der Luft- und Raumfahrt verwendeten Titanlegierung zum Einsatz, die aus dem 3D-Drucker stammen. Auch die Flügelelemente an Front und Heck bestehen aus Titan.

Dachhutze mit morphbarer Außenhaut

Technisch besonders interessant ist die morphbare Außenhaut der auf dem Dach platzierten Ansaughutze. Bei langsamer Fahrt bleibt die Oberfläche der Hutze glatt, bei schneller Fahrt wölbt sich ein Feld von Blasen aus. Dieses reduziert ihren Luftwiderstand um zehn Prozent und führt zu einem um 17 Prozent geringeren Auftrieb; obendrein wird die Anströmung des hinteren Flügels optimiert. Bei 320 km/h liegt der Abtrieb hier bei 1.800 Kilogramm und am vorderen Pendant bei 800 Kilogramm.

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Pure Rennsport-Technik verwendet Bugatti bei Fahrwerk und Bremse des Boliden. Ersteres arbeitet mit liegenden Pushrod-Dämpfern aus Titan, deren Öl-Reservoirs innen angeordnet sind – das verbessert die Aerodynamik. Die aus Edelstahl geschweißten Querlenker tragen Flügelprofile. Aus Magnesium sind die geschmiedeten, 18 Zoll großen Zentralverschluss-Räder von OZ Racing gefertigt. Obwohl sie so breit sind, dass sie vorne 340 und hinten 400 Millimeter breite Michelin-Rennslicks aufnehmen, wiegen sie pro Stück lediglich 7,4 beziehungsweise 8,4 Kilogramm. Jeder Sattel (vorn mit Acht-, hinten mit Sechskolben-Technik) der eigens entwickelten Brembo-Bremsanlage bringt nur etwa 2,5 Kilogramm auf die Waage; die 390-Millimeter-Scheiben und Beläge bestehen jeweils aus Keramik. All diese Maßnahmen führen zu einer maximalen Querbeschleunigung von 2,8 g.

Offenherziges Bugatti-Design

Nicht nur technisch, auch optisch ist der Bolide viel radikaler umgesetzt als bisherige Bugatti-Modelle und Studien. "Ich habe in den 16 Jahren bei Bugatti noch an keinem extremeren Fahrzeugkonzept gearbeitet", sagt folgerichtig Achim Anscheidt, der Chef-Designer. Zwar habe die Ästhetik bei der Gestaltung des Rennstrecken-Bugatti gegenüber der Technik eine untergeordnete Rolle gespielt. Dennoch sollte der Bolide auf Anhieb als Bugatti-Vertreter zu erkennen sein. Folgerichtig hüllte er sich bei seinem ersten öffentlichen Auftritt im Rahmen des 24-Stunden-Rennens in Le Mans 2023 in die für die Marke typischen Blautöne. Das Auto, das dort eine Showrunde fuhr, war fast komplett lackiert. Ursprünglich hatte Bugatti angekündigt, aus Gewichtsgründen nur 40 Prozent der Karosserie in Farbe zu hüllen; der Rest sollte naturbelassenes, unlackiertes Carbon zeigen.

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Die Front ist selbstverständlich vom bekannten Hufeisen-Grill gekennzeichnet. Doch bereits der sehr offenherzig gezeichnete Vorderwagen zeigt, dass hier konsequent die Form der Funktion folgt. Generell ist das Design geprägt von Lufteinlässen und -führungskanälen, die den Sauerstoffbedarf des Motors decken und den Anpressdruck optimieren. Ein Beispiel für Letzteres ist der Front-Diffusor, dessen Hauptaufgabe es ist, die einströmende Luft unter dem Frontsplitter erst zu komprimieren und dann auszudehnen, wodurch ein Sog entsteht, der den Boliden an den Asphalt saugen soll. Zwischen den auf beiden Seiten hinter der Fahrerkanzel platzierten Tank-Schnellverschlüssen sitzt ein zentrales Aerodynamik-Element, das die Luft optimal auf den geschwungenen, an die jeweilige Rennstrecke anpassbaren Heckflügel leitet.

Wirbel erzeugen, Wirbel verhindern

Ein zentrales Design-Schema sind ferner die X-förmigen Leuchten vorn und hinten. Hier präsentiert der Bugatti Bolide vor allem schwarze Löcher: Die vier Auspuff-Endrohre sitzen weit oben, der Diffusor präsentiert fünf vertikale Finnen und die Heckschürze gibt den Blick auf die Hinterräder frei. Im Umfeld der vorderen Pendants erzeugt Bugatti "Luftvorhänge", um hier keine Wirbel entstehen zu lassen und so den Luftwiderstand zu reduzieren. Gewollte Wirbel rufen wiederum Winglets an den Außenkanten des Frontsplitters absichtlich hervor. Sie leiten die Luft spiralförmig zum Heck-Diffusor, um so dort den Abtrieb zu optimieren. Die Außenspiegel sind ebenfalls aerodynamisch optimiert: Sie leiten die Luft zu den Ladeluftkühlern.

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Innen ist Rennsport-typischer Minimalismus angesagt. Die maximal zwei Insassen entern das Interieur wie bei einem LMP1-Rennwagen über die vorn angeschlagenen, nach schräg oben klappenden Türen und nehmen auf Carbon-Vollschalen-Sitzen mit Sechspunkt-Renngurten Platz. Die Fahrerin oder der Fahrer greift in ein unten abgeflachtes und oben abgeschnittenes, mit allerlei Verstellmöglichkeiten versehenes Volant, über dem ein Instrumenten-Bildschirm sitzt.

Legitimer Nachfolger des legendären Type 35

Der Mitteltunnel ragt weit nach oben; darüber thront eine freischwebende Mittelkonsole, über die die Fahrstufen gewählt und im Notfall der automatische Feuerlöscher aktiviert werden. Auch hier liegt vielerorts das Carbon frei. Die Türen werden per Schlaufen geöffnet, die Scheiben bestehen aus Polycarbonat. Sowohl die Pedalerie als auch die Beifahrer-Fußstütze lassen sich um 150 Millimeter verschieben; zudem kann ein HANS-System integriert werden.

Bugatti sieht den Bolide als legitimen Nachfolger des legendären Type 35; der Achtzylinder-Rennwagen heimste zwischen 1924 und 1930 angeblich über 2.000 Rennsiege ein. "Wir sind stolz, dass wir beim Serienfahrzeug optisch und technisch so nah am technischen Demonstrator bleiben, gleichzeitig jedoch Design, Qualität und Fahrzeugsicherheit steigern werden", erklärt Stephan Winkelmann.

Nun muss der Bolide im echten Leben zeigen, was er bisher im Simulator verspricht: Bugatti hat für ihn ein "kompromissloses, anstrengendes und unerbittliches" Testprogramm "auf renommierten Rennstrecken" zusammengestellt, um zu überprüfen, ob Technik und Aerodynamik im Realeinsatz das machen, wofür sie entwickelt wurden. Das Aerodynamik-Paket eines jeden Exemplars passt Bugatti übrigens auf die Wünsche und Bedürfnisse des jeweiligen Käufers oder der jeweiligen Käuferin an. Diesen Aufwand lässt sich der Hersteller – wenig überraschend – fürstlich entlohnen: Jedes der maximal 40 Autos wird vier Millionen Euro netto kosten; in Deutschland werden demnach 4,76 Millionen Euro fällig.

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2023-04-21T04:18:40Z dg43tfdfdgfd