RESTWERTE VON E-AUTOS: „DIE AKTUELLE E-AUTO-GENERATION FOLGT DER LOGIK EINES WIRTSCHAFTLICHEN TOTALSCHADENS“

Die E-Auto-Restwerte sinken immer weiter, Mietwagen- und Abo-Unternehmen reagieren längst. Was tun mit den unbeliebten, technisch überholten Gebrauchtwagen?

In all seinen Berufsjahren als Flottenmanager habe er das, was in den vergangenen Monaten passiert ist, noch nicht erlebt. In keiner der vielen Krisen. Dabei macht Jürgen Lobach, der die Flotte des Autoabo-Anbieters Finn verantwortet, den Job schon seit 30 Jahren.

Was Lobach meint, ist der rasante Sturz der Wiederverkaufswerte, speziell von E-Autos. Das hat nicht nur Autovermieter wie Hertz oder Sixt empfindlich getroffen. Auch für Aboanbieter Finn war der Schaden groß: Auf 60 Millionen Euro beziffert Lobach ihn, großteils verursacht durch die E-Autos, insbesondere Tesla-Modelle.

Branchenexperte Christopher Ley von der Strategieberatung Berylls by AlixPartners hat wenig Hoffnung, dass die Wiederverkaufswerte gebrauchter E-Autos in den nächsten Monaten wieder steigen. „Wir sehen keinen Nachfrageschub für Gebrauchtwagen“, berichtet er, „vor allem nicht für die aktuelle Generation an gebrauchten E-Autos.“ Eine Analyse mehrerer Verbraucherstudien zeige: Die größte Hürde für Kunden sei der Wertverlust und der Kaufpreis, wenn es um den Kauf eines gebrauchten E-Autos geht (87 Prozent).

Einen Teil des Restwertdrucks könne man einfach anhand des Lebenszyklus von Autos erklären, sagt Christof Engelskirchen, Chefvolkswirt bei Autovista. „Neuere, kompaktere, günstigere Modelle mit guter Reichweite erschweren die Vermarktung der großen, teuren Modelle, die technisch nicht mehr auf dem aktuellen Stand sind.“

Größere Probleme bereite der Fahrzeug-Beliebtheit aber eine Verunsicherung der Verbraucher durch „politische Kehrtwenden“. Diese bewirkten eine „fehlende Attraktivität aus Sicht der Gebrauchtwagenkäufer, auf vollelektrisch umzustellen.“ Die Daten von Autovista zeigten eine Restwertstabilisierung bei Benzinern und Dieselfahrzeugen. Bei vollelektrischen Modellen sehen die Autovista-Experten aktuell noch kein Zeichen einer Kehrtwende.

Jürgen Lobach hat reagiert. Lag das Restwertrisiko vor dem Sturz der Wiederverkaufswerte noch bei drei Viertel der Flotte bei Finn, sei die erneuerte Flotte nahezu vollständig abgesichert. „Die Bereitschaft der Autobauer, das Restwertrisiko zu übernehmen, ist sehr unterschiedlich“, erzählt Lobach. Natürlich würde er hier insbesondere die beliebtesten Elektromodelle anbieten – doch nicht immer sind die Hersteller bereit, das Risiko zu teilen. Viele Mietwagenfirmen sortierten zuletzt Modelle des E-Autobauers Tesla aus.

Lobach, der immerhin 30.000 Fahrzeuge im vergangenen Einkaufszyklus für den deutschen Markt eingekauft hat, nimmt vergleichbare Modelle in den Fokus. Neben Polestar oder Audi sind beispielsweise auch MG-Modelle auf der Einkaufsliste gelandet. Alle zwölf Monate erneuert sich der Kernfuhrpark von Finn. Dennoch soll der E-Anteil in der Flotte bei Finn weiter steigen, im Gegensatz zu Autovermietern wie Sixt oder Hertz, die der E-Strategie erstmal den Rücken gekehrt haben.

Die Frage des Restwertrisikos gilt als eine der entscheidenden. Schließlich ist der Wiederverkauf der Fahrzeuge beispielsweise bei Mietwagenfirmen wie Sixt Teil des Geschäfts. Sixt hat Anfang August seine Gewinnprognose gesenkt – wegen der unsicheren Entwicklung der Restwerte für Gebrauchtwagen. Das Unternehmen vermarktet einen Teil der Flotte selbst – und trägt entsprechend das Restwertrisiko für diese Modelle. Allein im zweiten Quartal kostete der Verfall der Restwerte Sixt ungefähr 40 Millionen Euro Gewinn. Finanzchef Franz Weinberger sagte, der Anteil der Fahrzeuge, bei denen Sixt das Restwertrisiko trage, liege inzwischen bei 21 Prozent. Sixt trenne sich vor allem von den Elektroautos, die man vollständig übernommen habe, sagte Weinberger. Ihre Zahl liege inzwischen nur noch in einem niedrigen vierstelligen Bereich, bei einer Gesamtflotte von fast 190.000 Autos.

Auch für Hertz entpuppte sich die Stromer-Offensive als Reinfall. Das Unternehmen mit Sitz in Estero, Florida, meldete im Januar seinen größten Quartalsverlust seit der Pandemie.

Die Autobauer sorgen sich derweil vor einer Flut an Gebrauchtwagen. Eine Fahrzeugschwemme würde die Restwerte noch weiter drücken. „Die durchschnittlichen Standtage von Gebrauchtwagen von etwa 90 Tagen im Schnitt übersteigen gebrauchte E-Autos teils deutlich, und das bei Standkosten von 25 bis 30 Euro pro Tag“, erklärt Gebrauchtwagenexperte Ley. Daher versuchten Leasinganbieter und Autobanken derzeit, Kunden mit attraktiven Angeboten im Leasing zu halten. Das Credo: Lieber die Fahrzeuge beim Kunden, auch wenn man am Vertrag weniger verdient, als Standkosten zu haben.

„Es ist alles eine Frage des Preises“, erläutert Autovista-Chefvolkswirt Christof Engelskirchen. Aktuell würde die Lücke zwischen den Preisen für Verbrenner und Batterieelektrofahrzeugen größer, was E-Autos preislich wieder attraktiver macht. Wichtiger als die technische Entwicklung sei es, die Nachfrage am Gebrauchtwagenmarkt zu stimulieren. „Klare politische Signale würden helfen.“

„Es tut an vielen Stellen weh“, lautet das Fazit von Ley. „Die aktuelle E-Auto-Generation folgt der Logik eines wirtschaftlichen Totalschadens“. Die alten Modelle können kein „Upgrade“ bekommen, die neuen Modelle haben einen deutlichen Entwicklungssprung. Die Verkaufs-Incentivierung liegt in den Neuwagen. „Jeder ist bestrebt, wenigstens eine Kleinigkeit herauszuholen“. Und der große Schwung an Fahrzeugen kommt erst noch. „Das 'dicke Ende' der Leasingportfolios ist noch gar nicht im Markt.“

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