AUTOSHOW PEKING: TECHNIK RAUF, KOSTEN RUNTER – SO WILL VOLKSWAGEN IN CHINA ZULEGEN

In der größten Krise auf seinem wichtigsten Absatzmarkt setzt Konzernchef Oliver Blume auf neue Partner und geringere Ausgaben. VW-Autos sollen in China zum mobilen Wohnzimmer werden.

Das Phoenix Center im Herzen der chinesischen Hauptstadt Peking an diesem Mittwoch, Volkswagen hat zum Kapitalmarkttag geladen. Solche Veranstaltungen sind Tage der Rechenschaft und des Ausblicks, der Vorstand erläutert Investorinnen und Investoren seine Ziele und Strategien. Nur selten dürften die Erwartungen einer Investorenrunde von VW so hoch gewesen sein wie dieses Mal.

Die Wolfsburger stecken in China in der schwersten Krise der Konzerngeschichte, die in China vor etwa 40 Jahren mit dem Modell „Santana“ begann und in deren Verlauf sich die Volksrepublik zum größten Automarkt der Welt entwickelte.

China bescherte Volkswagen über Jahre verlässliche Gewinne – bis der chinesische Konkurrent BYD im vergangenen Jahr in dem Markt die Kernmarke VW überholte. Einen Tag vor dem offiziellen Beginn der Pekinger Automesse an diesem Donnerstag versuchten Konzernchef Oliver Blume und China-Vorstand Ralf Brandstätter, Zweifel daran zu zerstreuen, dass der Konzern in seinem absatzstärksten Markt die Trendwende nicht schafft.

Blume sprach vor den Investoren gleich zwei Mal von China als „unserer zweiten Heimat“. Der Markt sei ein „sehr wichtiger für uns, und das wird er auch bleiben“, sagte Blume. Im Kern formulierte der Konzernchef drei neue Ziele seiner China-Strategie:

- Bis 2030 will VW vier Millionen Autos in China verkaufen, das soll einem Marktanteil von 15 Prozent entsprechen. Derzeit liegt der Konzern bei 3,24 Millionen Fahrzeugen.

- Jeder zweite in China verkaufte VW, Audi oder Porsche soll am Ende des Jahrzehnts elektrisch fahren. Noch sind es vor allem Verbrenner, die sukzessive an Bedeutung einbüßen. Nur sechs Prozent der Auslieferungen in China waren zuletzt rein elektrisch.

- Anteilig soll VWs operatives Ergebnis in China 2030 etwa drei Milliarden Euro erreichen. Für 2027 lautet die Zielmarke zwei Milliarden Euro – knapp ein Viertel weniger, als die Wolfsburger noch 2023 anteilig verdienten.

Der chinesische Anbieter BYD hat VW überholt

„VW hat in China über Jahrzehnte hinweg hocherfolgreich gearbeitet. Jetzt sind sie auf dem Weg nach unten“, sagt Moritz Kronenberger, Portfoliomanager bei Union Investment.

Nachdem der Konzern schon die Marktführerschaft für die Kernmarke VW verloren hat, könnten die Chinesen bald schon den Gesamtkonzern einholen. In der Coronazeit waren die konzernweiten Absatzzahlen in China auf ein Neunjahrestief abgesackt, davon erholt sich der Autobauer nur langsam. Mittelfristig will Volkswagen nur noch größter internationaler Autokonzern in der Region sein.

Für Volkswagen wird die Zeit knapp.

Die Konzernspitze mühte sich aber am Mittwoch sichtlich, Zuversicht zu verbreiten. Sie stellte in Aussicht, dass das Unternehmen von 2026 an im Kompaktsegment bei den Kosten gleichauf mit dem lokalen Wettbewerb liegen und Marktanteile zurückerobern wolle.

Analystinnen und Analysten waren allerdings schon vor dem Kapitalmarkttag skeptisch, ob das reicht. In einer Bewertung von Bernstein von Mitte März heißt es: „Außer der Zuversicht des Managements gibt es bei VW wenige Proof-Points, dass sich die Wettbewerbsfähigkeit des Konzerns, insbesondere bei Elektroautos in China, kurzfristig verbessert.“

Und Pal Skirta, Analyst vom Bankhaus Metzler, beschrieb es vor dem aktuellen Kapitalmarkttag gegenüber der Nachrichtenagentur Bloomberg folgendermaßen: „Für Volkswagen wird die Zeit knapp.“

Die Wende in China soll mit einer Formel gelingen, die sich auf zwei Bewegungen herunterbrechen lässt: Die Technologiekompetenz soll rauf, die Kosten runter.

Wesentliche Bausteine dafür sind VWs Kooperation mit dem chinesischen Auto-Start-up Xpeng und der milliardenschwere Aufbau seines Entwicklungszentrums in Hefei. Ein Drittel weniger Entwicklungszeit und 40 Prozent weniger Kosten will Volkswagen mit seiner eigenen Fahrzeugplattform für China erreichen.

„Mit dieser gesteigerten Effizienz und Geschwindigkeit, signifikanten Skaleneffekten und der starken Kostenposition ist Volkswagen auch in einem dynamischen Marktumfeld weiterhin profitabel und ertragsstark“, sagte Blume vor den Investoren.

Außerdem will er die Interessen chinesischer Konsumenten stärker beachten, beispielsweise durch technische Gimmicks wie sprachgesteuerte Fensterheber oder KI-gesteuerte Avatare auf den Displays im Auto. Die chinesische Zielgruppe sei in dieser Hinsicht „technikaffiner“ als die Europäer, hieß es.

Das Auto als Ort der Ruhe und Entspannung

In der Tat verbringen Chinesen im Durchschnitt fünf Stunden am Tag am Smartphone – und auch mehr Zeit in ihren Autos. Die bieten ihnen Ruhe und Entspannung in einem durchgetakteten Alltag und in zum Teil sehr beengten Wohnverhältnissen.

Technische Innovationen wie sprachgesteuerte Stimmungs-, Musik- und Lichtmodi sollen das Auto zum erweiterten Wohnzimmer machen – ein Trend, den die chinesischen Anbieter allerdings schon längst aufgegriffen haben.

Schon jetzt verlieren Benzin- und Dieselfahrzeuge in China strukturell an Bedeutung und damit an Marktanteilen. Lag ihr Wert bei den Neuzulassungen zu Beginn der Pandemie in dem Land noch bei etwa 95 Prozent, erwartet VW für dieses Jahr nun mehr einen Verbrenneranteil von 50 Prozent bei den Neuzulassungen im gesamten chinesischen Markt.

Was einige Investoren als strukturelles Problem werten, deutete Blume am Mittwoch zum Vorteil seiner Strategie um. Die Gewinne aus dem Verbrennergeschäft bildeten demnach das Fundament für den Umstieg auf E-Mobilität. Allerdings bleibt die Frage, ob der Verbrennermarkt schneller wegbricht, als VW seine E-Offensive hochskaliert.

Das Kernproblem von VW ist, dass der Kostenapparat viel zu hoch ist.

„Das Kernproblem von VW ist, dass der Kostenapparat viel zu hoch ist. Werksschließungen sind unausweichlich, in China genauso wie in Europa. Die Überkapazitäten müssen runter“, sagt Kronenberger von Union Investment – allerdings stünden der starke Betriebsrat und das Land Niedersachsen harten Einschnitten entgegen.

Volkswagen kann die negative Investorenstimmung nicht abschütteln, seit Verzögerungen bei der Software und wichtigen neuen E-Modellen das Unternehmen 2022 zum Chefwechsel veranlassten und Porsche-Chef Blume Ex-VW-Chef Herbert Diess an der Konzernspitze ablöste.

Seit Blumes Amtsantritt ist die VW-Aktie um 13 Prozent gefallen. Der Aktienkurs des Rivalen Stellantis, der schneller und günstiger E-Modelle auf den Markt gebracht hat, konnte im gleichen Zeitraum um fast 80 Prozent zulegen.

Volkswagen ist nicht der einzige deutsche Traditionsautobauer, der mit dem Aufstieg der chinesischen Konkurrenz hadert. Auch BMW und Mercedes-Benz verzeichneten im wichtigen NEV-Segment zuletzt Einbrüche, worunter Peking die Absatzzahlen von Hybrid- und Elektrofahrzeugen subsumiert.

Mercedes stellte am Mittwoch in Peking seine neue, rein elektrisch angetriebene G-Klasse vor, von der sich die Schwaben insbesondere in China viel versprechen.

Schweigen zum Konflikt um Werk in Xinjiang

Auffällig ist, dass ein Thema, das die Investorengemüter zuletzt beschäftigte, bei den offiziellen Präsentationen am Kapitalmarkttag weitgehend ausgespart wurde: die Zukunft der VW-Präsenz in der Uiguren-Provinz Xinjiang. Das Werk gilt als Risiko für das Image von VW. Auch einige Fonds haben den Autobauer bei ihren nachhaltigen Produkten aus dem Portfolio geschmissen.

Zuvor hatte das Handelsblatt über Hinweise berichtet, wonach beim Bau einer Teststrecke, die VW zusammen mit SAIC betreibt, mutmaßlich Zwangsarbeiter eingesetzt wurden. Die muslimische Volksgruppe der Uiguren wird von Chinas Staatsführung massiv unterdrückt.

VW hatte im Februar erklärt, mit seinem Joint-Venture-Partner SAIC über eine Abgabe der Tochterfirmen zu verhandeln. Man sei „weiter in fortgeschrittenen Gesprächen“, betonte ein Sprecher kürzlich.

China-Chef Brandstätter sprach auf dem Kapitalmarkttag nur allgemein von „geopolitischen Spannungen“, die Volkswagen im China-Geschäft beschäftigten. Gemeint waren vor allem mögliche Handelskriege zwischen China, den Europäern und den USA oder auch die Rufe der Politik nach einem „Decoupling“, also dem Entkoppeln von China-Aktivitäten, um Risiken etwa durch Sanktionen infolge eines Angriffs auf Taiwan zu reduzieren.

Auch jetzt beantworten Brandstätter und Blume die Frage nach den Standorten diplomatisch nicht. Brandstätter sagte vor Journalisten lediglich, man prüfe mehrere Optionen. Details, wie diese aussehen könnten, nannte er nicht. Blume betonte nur: „Wir stehen für Menschenrechte.“

Der Konzern stelle sich weiter auf ein schwieriges, von Spannungen geprägtes Marktumfeld ein, hieß es. Die Herausforderungen dürften bis 2026 nicht weniger werden für VW.

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