SPORTWAGEN-SPITZEL, TEMPO 30, RECHT AUF RUHE – DER ANTI-LäRM-PLAN DER UMWELTHILFE

Millionen Deutsche leiden unter Verkehrslärm. Die Regierung tut laut der Deutschen Umwelthilfe zu wenig dagegen. Sie ruft die Bürger deswegen nun zu Anzeigen von Sportwagen- und Motorradfahrern auf. Mit Denunzieren habe das nichts zu tun, sagt DUH-Chef Resch.

Pünktlich zum internationalen „Tag gegen Lärm“ startet die Deutsche Umwelthilfe eine Kampagne für die Verringerung von Verkehrslärm. Neben einem Bündel politischer Forderungen – vor allem der Einführung von Tempo 30 in Städten – hat der Verein auf seiner Internetseite auch eine Anleitung veröffentlicht, die Bürger ermutigen soll, zu laute Sportwagen und Motorräder bei den Behörden zu melden.

Mit Denunzieren habe das nichts zu tun, sagt DUH-Chef Jürgen Resch. „Das ist einfach Notwehr.“ Der Verein bekomme Hilferufe von Menschen, die unter Verkehrslärm leiden. In der Stadt den Sportwagen oder das Motorrad laut aufheulen zu lassen, sei „unsoziales Verhalten“, meint Resch.

Tatsächlich leiden in Deutschland laut DUH mehr als 16 Millionen Menschen unter den Folgen von Verkehrslärm. „Lärm ist nicht nur etwas, das uns belästigt, sondern uns auch krank macht“, sagt der Mainzer Kardiologe Thomas Münzel, der seit 2011 zu dem Thema forscht und die DUH-Forderungen unterstützt.

Nach der Luftverschmutzung sei Lärm „die zweitgrößte umweltbedingte Ursache für Gesundheitsprobleme“, sagt Münzel. Sie werde in Verbindung gebracht mit Problemen wie Schlafstörungen und Konzentrationsschwäche, bis zum Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Demenz. Medizinische Studien haben nachgewiesen, dass der Stress, den Verkehrslärm verursacht, auch zu Depressionen, Schlaganfällen und Entwicklungsstörungen bei Kindern führen kann.

Laut Schätzungen der Europäischen Umweltagentur sind in der EU mehr als 100 Millionen Menschen einer schädlichen Lärmbelastung ausgesetzt. Das trage jedes Jahr zu 48.000 neuen Fällen von Herzkrankheiten und 12.000 vorzeitigen Todesfällen bei.

Dazu kämen 22 Millionen Menschen, die unter chronisch starker Lärmbelästigung leiden und 6,5 Millionen, bei denen der Krach zu einer chronischen Schlafstörung führt. Bis 2030 werde die Belastung durch Straßen- und Eisenbahnlärm weiter steigen, weil die Städte wachsen und die Mobilität insgesamt zunimmt.

Auch EU will Verkehrslärm reduzieren

Neben dem juristischen Kampf gegen Luftverschmutzung engagieren sich Resch und die DUH schon seit Jahren für schärfere Gesetze gegen Verkehrslärm. Auf EU-Ebene gilt dazu eine Richtlinie über Umgebungslärm, die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, „Aktionspläne“ gegen Lärm zu erstellen. Für Ballungsräume, Eisenbahnstrecken und Flughäfen hat Deutschland seit 2017 solche Pläne bereits erstellt.

„Es fehlen jedoch nach wie vor viele Aktionspläne für die (schätzungsweise 16.000) Hauptverkehrsstraßen außerhalb von Ballungsräumen“, heißt es in einer Stellungnahme der EU-Kommission von Mitte März. Die Behörde hat die Bundesregierung aufgefordert, binnen zwei Monaten dazu Stellung zu nehmen.

Solche Aufforderungen sind frühe Schritte eines Vertragsverletzungsverfahrens. Im Rahmen des „Fit for 55“-Programms zielt die EU auch darauf, den Verkehrslärm zu reduzieren. Bis 2030 soll der Anteil der dadurch chronisch beeinträchtigten Menschen um 30 Prozent im Vergleich zu 2017 sinken.

Das geht nach Einschätzung von Münzel und Resch am besten mit einem Tempolimit. In der Stadt will die DUH eine Höchstgeschwindigkeit von 30 Kilometern pro Stunde. „Wir brauchen eine rasche Lärmreduktion, wenn wir rasch die negativen Gesundheitsfolgen reduzieren wollen, also zum Beispiel den Straßenlärm in Ortschaften von 50 auf 30 Kilometer reduzieren“, sagt auch der Mediziner Münzel.

Resch will zusätzlich „verstärkte Polizeikontrollen, um illegal manipulierte Fahrzeuge mit Klappenauspuff oder deaktivierter Schubabschaltung aus dem Verkehr zu ziehen“. Er fordert eine Regelung, wonach das im Fahrzeugschein eingetragene Geräusch in allen Betriebszuständen eingehalten werden muss.

Nach Ansicht der DUH müsste es in Deutschland einen rechtlichen Anspruch auf Lärmschutz an existierenden Straßen geben – den man vor Gericht auch einklagen kann. Außerdem seien die EU-Lärm-Grenzwerte für die Autoindustrie zu hoch angesetzt.

Die Bundesregierung habe 2012 in Brüssel „die Forderungen der Autoindustrie exekutiert“ und dort eine „Lex Porsche“ durchgesetzt, meint Resch. Darin gehe es „nicht um den Schutz der Menschen, sondern um den Schutz der Lärmerzeuger“.

Elektroautos werden Lärmproblem nicht mindern

Der Umstieg auf Elektroautos wird das Problem nach Einschätzung von Experten nicht lindern. Denn der Lärm im Straßenverkehr entsteht vor allem durch das Abrollgeräusch der Reifen. E-Autos haben zwar kein lautes Motorgeräusch, sie sind aber deutlich schwerer als vergleichbare Verbrenner. Der Reifenlärm wird dadurch lauter. Die Folge aus DUH-Sicht: „Mit zunehmender Elektrifizierung brauchen wir erst recht Tempo 30.“

Viele Kommunen folgen dieser Doktrin nicht. Berlin geht unter der neuen Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) den umgekehrten Weg. Sie will auf den Hauptverkehrsstraßen wieder durchgängig zu Tempo 50 zurückkehren. Dagegen werde die DUH „alle rechtlichen Möglichkeiten nutzen“, kündigt Resch an.

Und er fordert die Bürger auf, sich „ihre eigenen Tempo-30-Zonen zu schaffen“. Auf der Internetseite des Vereins kann man sich dazu automatisch Schreiben an die eigene Kommune erstellen lassen.

Zur Auswahl stehen Anträge auf Tempo-30-Zonen, Schallschutzfenster, Ausbesserung der Fahrbahn, Ausbau von Rad- und Gehwegen und Verkehrsberuhigung. Auf Basis der Lärmaktionspläne müssten sich die Gemeinden mit diesen Anträgen befassen. Der nächste Stichtag dafür ist der 18. Juli.

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